Scherenschnitt
🌞 14.11.2024
Was für eine Farbe!
Begleitet vom Rauschen des Baches geh ich langsam den Forstweg nach oben, immer die Böschung im Auge. In Knöchelhöhe stehen schwammige Fichtenreizker. Schön anzusehen, aber alle schon zu weich um sie mitzunehmen. Die trockenen braunen Hüte auf Brusthöhe entpuppen sich als ein ganzes Büschel von Hohlfußröhrlingen. Eng umschlungen wie eine liebende Familie scheinen die Kleinen auf den Füßen der Großen zu stehen. Wollen ihre Köpfe höher hinausrecken, auch die Sonne sehen.
Lila Lacktrichterlinge im Schatten der engstehenden Wipfel an der Wegbiegung. Blass sind sie. Haben ihre beste Zeit schon hinter sich. Fast hätt ich sie nicht erkannt mit ihrer im Halbdunkel fast grau scheinenden Oberfläche. Und doch bück ich mich. Brech einen der dünnen Stiele ab und schau unterm Hut nach. Ja, sie sind’s wirklich! Die Leisten auf der Unterseite noch feucht und grell violett. So, wie sie sein sollen.
Kraftlos
Die Sonne schickt ihr Licht durch die Fichtenzweige, doch die Wärme erreicht mich kaum. Vogelgezwitscher mischt sich mit dem Plätschern des Wassers, das in Kaskaden die Schlucht hinunterspringt.
Saft- und kraftlos sind die Stängel des Berufskrauts. Knicken ab, auch wenn noch lauter Blüten dranhängen. Leer die Samenstände der Engelwurz. Eingeringelt und braun steht der Farn neben noch grünen Wedeln. Die Rosette der Nachtkerze wird von Blättern zugedeckt. Obwohl die Sonne schon den Zenit überschritten hat, ist der Frost im Gras noch nicht getaut.
Großmaul
Weit haben die Flaschenstäublinge ihre Mäuler geöffnet. Um sie herum ein Film aus Sporenpulver, das bei jedem Druck auf dem schlaffen Beutel in Wolken entweicht.
Wie die Sal-Weide und die Birke wirft auch die Lärche im Herbst ihre Blätter ab. Der einzige Nadelbaum in unseren Breiten, der den Winter nackt überdauert. Gelbe und rostrote Nadeln rieseln in meine Hand, als ich mit zwei Fingern am Zweig entlang streife. Immer noch weich und zart sind sie. So wie die Lebenden am Baum.
Viel von dem Grünzeug, das noch saftig und nahrhaft ist, haben sich die Insekten einverleibt. Scherenschnittmuster am Brombeerstrauch. Am Haselzweig trifft die heurige Nuss auf die Kätzchen, die erst im nächstes Jahr blühen. Vergangenheit und Zukunft eng nebeneinander. Auch hier schon so viele Blätter abgefallen. Doch auch die kahlsten Sträucher sind nicht tot. In ihren Knospen schläft das neue Leben.
Rehfuß
Hast du diese dicken schwarzen Knospen gesehen? Weißt du, welcher Baum das ist? Mich erinnern die Zweige der Esche mit den auffälligen Knospen am Ende immer an Rehfüße mit ihren Hufen.
Vereinzelt blüht noch das Habichtskraut. Auch Rotklee kannst du immer noch finden. Und sogar eine Erdbeere hab ich entdeckt. Nein, zwei sind’s! Direkt hintereinander. Das werden wohl die letzten für heuer sein.
Die meisten Goldruten sind schon ergraut. Tragen fast die gleiche Farbe wie der Fels hinter ihnen. Ehrwürdige Greise, zu denen ein paar verspätete Junge mit ihren leuchtend gelben Locken aufschaun.
Unerwartet ein Lagerfeuerplatz ein paar Meter im Wald. Hast du gelesen, was auf dem Zettel am Stamm steht? Der Mistkäfer mahnt im Namen des Bürgermeisters zu Sauberkeit. Und aufgeräumt schaut es hier auch aus.
Wo sind die Elche?
Abrupt endet der Weg in einer Kehre. Also wird es doch wieder eine Kletterei. Teils kann ich sie nur auf allen Vieren bewältigen, so steil ist der Hang. Blattflechten wie Elchgeweihe überziehen die Steine. Das Moos ist mit Zweigen voller Zapfen übersät. Die hat die Lärche mit ihren Nadeln abgeworfen. Wenn schon, dann gleich alles weg!
Ein Gewirr von Stämmen versperrt mir immer wieder den Weg. Wie gut, dass ich mich beim Drübersteigen an den Bäumen festhalten kann!
Kritzelei
Ganze Arbeit haben die Borkenkäfer geleistet, und das tote Holz der umgestürzten Fichten mit ihrer Schrift verziert. Jetzt, nachdem die ganze Rinde abgefallen ist, kann auch ich versuchen, die geheimen Zeichen zu entziffern.
Immer weiter entferne ich mich vom Bachufer, während die Geländekante über mir näher rückt. Trockene Fichtennadel rieseln in meinen Kragen, wenn ich mich unter den Zweigen durchbücke. Ungehindert rutschen sie am eingesteckten Shirt bis in die Hose durch. Suchen sich kitzelnd den Weg die Beine entlang nach unten.
Endlich hab ich die Höhe erreicht. Und mit ihr bin ich auch der Sonne nähergekommen. Genussvoll reck ich mein Gesicht in die Strahlen. Lass mich wärmen, bevor ich weitergeh.
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