Knospenkraft
9.2.2024
Pollenflug
Ein lauer Wind weht durch das Inntal. Violett leuchten die Leberblümchen auf der Böschung. Der Sauerklee reckt mir seine herzförmigen behaarten Blätter entgegen. Nach Kokos schmecken die Knospen der Brombeeren. Meterlang hängen ihre Ranken über die Böschung herab. Die ersten Huflattiche stecken ihre gelben Köpfchen aus dem Laub. Eines, nur ein einziges, möchte ich kosten! Dann werden es doch zwei. Nein, drei. Schließlich setzt meine natürliche Sperre ein. Jetzt ist‘s genug. Mehr vertrage ich nicht. Nach den spitzen Buchenknospen brauche ich mir nicht einmal zu bücken. Die wachsen mir direkt in den Mund. Herb, kein wirklicher Genuss. Und doch fühle ich mich wie im Schlaraffenland und knabbere sie ab.
Die Meisen singen im Haselstrauch. Bei jedem Windhauch zittern die langen, gelben Kätzchen und lassen ganze Wolken von Pollen aufsteigen. Über den männlichen Blüten thronen, winzig klein, die Weibchen. Geschlossene Knospen, aus denen rote Fäden hervorschauen, wie Korallen im Meer. Unmöglich, dass der Überfluss an Pollen sie verfehlt!
Kiffen
Der Steig ist gesäumt von jungen Tannen. Manche schon halbwüchsig, manneslang. Andere gerade ein paar kurze Ästchen, die nach dem Licht greifen. Dazwischen wenige Fichten. Viel mehr liegen am Boden. Reste vom Sturm. Verborgen von der Allee aus Christbäumen. Nur manchmal ragt ein gebrochener Wipfel in den Weg. Noch voll frischer Nadeln. Leuchtend grün. Ich zupfe immer wieder ein Büschel ab. Drehe es zwischen den Fingern, bis es reißt. Halte es unter meine Nasenlöcher und schnüffle daran. Tannenkiffen. Fichtenkiffen. Ein gesunder, belebender Rausch.
Heilsame Lebenskraft
Das Milzkraut ist überhaupt nicht nach meinem Geschmack. Und doch koste ich es jedes Jahr wieder. Mein Körper wird mir sagen, wenn ich es wieder brauche. Vom Schaumkraut dagegen bekomme ich nie genug. Jeder Haselstrauch schenkt mir zwei, drei Knospen. Brennnessel und Löwenzahn, kaum eine Hand groß, wandern in meinen Sammelbeutel. Im zerbrochenen Schneckenhaus liegt die Wendeltreppe frei. Auch die Judasohren lassen mich nicht im Stich. An wie vielen Sträuchern war ich schon? Wie viele Knospen habe ich schon mit meinen Fingernägeln abgeknipst? So winzig kleine, dass sich mein Glas nicht zu füllen scheint. Nur meine Jacke färbt sich gelb. Legt Zeugnis davon ab, wie viele Kätzchen ich bei der Ernte schon gestreift habe.
Ein Mazerat soll es werden. Die unglaubliche Kraft der Knospen ausgezogen in Alkohol und Glycerin. Heilsam durch die Lebenskraft der Natur.