Au-genschein
⛅ 1.12.2024
Misstrauen
Auf meinem Weg in die Au werd ich argwöhnisch von der Walnuss beobachtet. “Oh! Was machst denn du hier um diese Zeit?“, scheinen mich die vielen Gesichter zu fragen. Manchen bleibt gar der Mund offen stehen vor Staunen.
Die Walnuss hat recht. Die meisten Menschen kommen hierher, wenn es warm genug ist um nackt in der Sonne zu liegen. Hawaii wird dieses Augebiet liebevoll genannt. Das sandige Innufer lädt viele Freunde der Freikörperkultur zum Baden ein. Denn hier sind Nackedeis seit Jahrzehnten erlaubt.
Genau das ist auch der Grund, warum ich es vorziehe, mich in der kalten Jahreszeit hier aufzuhalten. Ungestört von den vielen Menschen präsentiert sich die Natur ganz anders. Die Tiere lassen sich wieder beobachten. Und ich kann ungehindert durchs Gebüsch spähen, ohne gleich für einen Spanner gehalten zu werden.
Verwerflich
Aber ganz allein bin ich anscheinend doch nicht. Irgend so ein Frechdachs bewirft mich mit Tschurtschen. Ich drehe mich einmal um mich selbst, kann aber niemanden sehen. Und wieder fällt mir eine direkt vor die Füße. Ein Kratzen und Rascheln auf der Fichte vor mir. Und da entdecke ich es. Keckernd sitzt ein Eichhörnchen am untersten Ast. Knabbert die Schuppen von den Zapfen und lässt den Rest nicht einfach nur fallen. Nein. Es wirft ihn direkt in meine Richtung und schaut mir dabei gerade in die Augen. Ganz so, als wollte es mich Eindringling aus der Au vertreiben.
Als ich nicht darauf reagiere und es nur stumm beobachte, schnappt es sich einen neuen Fichtenzapfen und eilt den Stamm nach oben davon.
Zugeschnürt
Lau weht der Föhn. Der Boden ist mit den langen, schmalen Blättern der Weiden ringsum bedeckt. Verschämt drückt sich das strubbelige Gänseblümchen ins Laub, wo es auf die haarige Nelkenwurz trifft. Kein Tropfen Wasser fließt im steinigen Bachbett, das tief ausgehöhlt vor mir liegt.
Waldreben ranken sich an abgestorbenen Bäumen empor. Verschnüren die rindenlosen Stämme mit einem Gewirr aus dicken Lianen. Baumpilze stehen wie Stufen aus dem alten Holz. Zersetzen es und lassen immer wieder Äste zu Boden krachen. Hier darf es liegen bleiben, so wie es fällt.
Büschel trockenen Grases wiegen sich im Wind. Die Feuerstelle ist mit großen Steinen begrenzt. Darin die verkohlten Reste geselliger Sommerabende. Treibholz liegt verstreut am feinen Ufersand, gegen den gemächlich die Wellen schlagen. Biberspuren führen ins Wasser und wieder heraus. Und doch hab ich hier noch keinen selbst gesehen. Nur immer wieder die tiefen Kerben in den Stämmen, an denen sie sich zu schaffen gemacht haben.
Allerlei Unrat hängt an den Zweigen der gefällten Bäume und zeigt, wie hoch das Wasser oft steigt. Wo die Sandbank abgebröckelt ist, kannst du deutlich die verschiedenen Bodenschichten erkennen.
Jung und alt
Wie Palmwedel hebt sich das Schilf von den verschneiten Gipfeln im Hintergrund ab. Birken ragen in den wolkigen Himmel. Junge Eichen und Pappeln streben nach einem Platz am Licht. Teils verdeckt von roten Brombeerblättern zeigt sich immer wieder der geschützte Seidelbast hier auf dem sandig-kalkigen Untergrund.
Uralt, mit gewaltigen, tiefgefurchten Stämmen sind manche Pappeln. So dick, dass ich nicht einmal die Hälfte mit meinen Armen umspannen kann. Und doch sind sie noch voller Leben. Spitze, klebrige Knospen an jedem Zweig.
Dazwischen Schmächtige, die nie so ein hohes Alter erreichen werden. Dicht von Pilzen besiedelt, die auch schon bessere Zeiten gesehen haben. Wahrscheinlich gibt das alte Holz nichts mehr viel her. So zerfallen beide gemeinsam und bilden den Boden, auf dem neues Leben gedeihen kann.
Immer undurchdringlicher wird dadurch das Dickicht. Auch der Efeu hat sich Teile des Urwalds erobert und seinen eigenen Turm gebaut. Ein perfekter Rückzugsort für Vögel. Hier sind sie vor allem während der Brutzeit gut geschützt.
Ursprung
Unbewegt der kleine See. Durch das klare Wasser siehst du bis auf den Grund. Der Baumstamm, der wie ein Steg bis fast ans andere Ufer reicht, spiegelt sich darin. Kaum ein Laut ist zu hören.
Schließlich erreiche ich die Quelle, aus der der kleine Bach entspringt, der den See speist. Leise gurgelnd bahnt sie sich ihren Weg durch den Fels. Idyllisch wär’s, hätte nicht der Mensch eingegriffen und darunter noch Rohre ins Gestein gebohrt.
Eine kleine Population der bei uns seltenen Brunnenkresse hält sich seit Jahren im sauberen Wasser. Doch leider kann ich keine Vermehrung erkennen. Streng geschützt ist sie aus gutem Grund. Drum pflück sie bitte nicht!
Als ich mich von der Au verabschiede, schneidet mir die Walnuss lustige Grimassen. Grinsemund unter dicker Knubbelnase. „Endlich ist sie wieder weg!“
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