Vorletzte Chance
26.10.2024
Panorama
Was für ein Ausblick! Immer wieder. Wie viele Gipfel ich von hier oben sehen kann! Weit schweifen meine Augen über das Tal. Als grünes Band schlängelt es sich zwischen den Bergen hindurch. Nie wirklich breit genug für große Städte. Innsbruck nimmt schon viel zu viel Raum ein. Klettert die Hänge hinauf. Frisst die angrenzenden Dörfer auf.
Die Weiden sind frisch gemistet. Schwarze Dunghaufen im gelb-grünen Gras. Ein durchdringender Geruch erfüllt die Luft. Schnell verziehe ich mich in den Wald, der sich zwischen den offenen Flächen nach unten zieht. Die Lärchen stehen im rostroten Herbstkleid. Zirben und Fichten biegen sich im Wind. Dicht sind ihre knorrigen alten Äste mit Flechten besetzt.
Arbeit
Munter plätschert das Bächlein talwärts. In den kleinen Becken zwischen den Steinen räkelt sich die Bachbunge. Farnwedel und Almrosen auf nadelbedecktem Moos an den Wurzeln der Bäume.
Noch hat die Schwarzbeere nicht all ihr Laub verloren. Der Sauerklees färbt sich langsam gelb. Derb und dunkelgrün das Scharbockskraut. Die Kratzdistel presst sich eng an den Boden. Die Blätter über und über mit Stacheln besetzt. Reges Leben auf dem Ameisenhaufen. Fleißige Arbeiterinnen schleppen Baumaterial und Futter hinein.
Klatschnass
Den Schnee der letzten Woche haben die sonnigen Tage wieder schmelzen lassen, doch der Boden ist vom Wasser durchtränkt. Wieder ein paar neue Opfer hat der Sturm gefunden. Quer liegen die gefällten Bäume auf dem Hang.
Die Schafgarbe blüht neben verwelkendem Frauenmantel. Lila strahlen die winzigen Blüten vom Ehrenpreis. Auch der Augentrost zeigt noch Blüte, so wie die Erika. Keine einzige Beere am Wacholderstrauch.
Augenauswischerei
Getrübt ist meine Sicht. Immer wieder treibt mir der scharfe Wind die Tränen in die Augen. Schon bin ich über eine Wurzel gestolpert und lande mit einem Fuß im Matsch. Grad noch verhindert ein Baumstamm meinen Sturz. Ganze Arbeit haben die Spechte hier geleistet. Er ist von oben bis unten mit Löchern verziert. Auch jetzt hör ich wieder einen bei der Arbeit hämmern. Aber sehen kann ich ihn leider nicht.
Statt am Boden zu wachsen besiedeln Schmarotzerpilze die Stämme. Ernähren sich von dem, was das Holz ihnen bietet. Für mich ist da leider gar nichts dabei. Aber es wird sicher nicht lange dauern, bis ich etwas Essbares finde und endlich zu sammeln beginnen kann.
Hoppeldipoppel
Ein paar Meter vor mir hoppelt ein Schneehase vorbei. Dicht und weiß-grau gefleckt ist sein Fell. An den niedergedrückten Grünerlen hängen kaum noch Blätter. Ihnen hat wohl die erste Schneelast schon zu schaffen gemacht.
Zartes Schaumkraut wächst in winzigen Rosetten aus dem Boden. Intensiv schmecken die Brennnesselspitzen in dieser Höhe. Die rosa Schafgarbe ist mir die liebste. Löwenzahnköpfe auf der ganzen Wiese. An den langen dünnen Stängeln und dem dunklen Fleck in der Mitte der Blüte erkennst du, dass es der Steifhaarige ist. Sogar ein paar Margeriten stehen dazwischen. Dotterblumen entfalten im Sumpf ihre Blüten. Der Rotklee ist nur wenige Zentimeter hoch.
Ausgerast
Vom Weg her hör ich das Quietschen von Fahrradbremsen. Mit Rasen ist heute überhaupt nichts. Der Forstweg ist voller Samstagsspaziergänger. Die Bahn fährt nur noch dieses Wochenende. Um ohne Anstrengung auf den Berg zu kommen ist heute die vorletzte Chance. Von weitem sichtbar pendeln die Seilbahngondeln. Bei wie vielen Passagieren sich da wohl der Magen umdreht?
Getupft
Jetzt ist die Zeit der Fliegenpilze. In allen Varianten stehen sie da. Mit den Eierschwammerln geht es langsam zu Ende, auch wenn heut noch reichlich zu sehen sind. Dafür findest du jetzt die schönsten Steinpilze. Ihre Qualität ist teils makellos. Madenfreie Stiele und hell- oder dunkelbraune Hüte. Je nachdem, ob sie bei Fichte oder Kiefer stehen.
Am alten Heustadel hat der Gute Heinrich auf mich gewartet. Und Vogelmiere sowieso. Auch die Taubnesseln haben sich wieder verjüngt. Hier ernte ich heuer schon zum dritten Mal. Der Wind macht kurz Pause. Ich genieße die Sonne. Fülle langsam meine Beutel mit dem kostbaren Grün. Nach jungen Erbsen schmeckt das zarte Kraut der Vogelmiere. Ein Schluck frisches Quellwasser passt perfekt dazu.
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