Wettrennen
03.06.2024 ⛅
Hochstand
Drei Tage Regen. Neuschnee auf den Bergen. Die Gipfel sind wieder weiß. 14 Grad hat’s. Doch mit der Regenjacke ist es angenehm warm. Noch sind die Straßen nass. Glänzend schwarzer Asphalt und dichte graue Wolken darüber. Der Inn steht hoch. Die sandigen Ufer sind überschwemmt. Teils reichen die Wiesen fast bis ans Wasser.
Gut gegossen
Den Pflanzen hat der viele Regen gutgetan. Saftige Gänsedisteln ernte ich, mit dicken Stängeln, von denen ich die schönsten Blätter abziehe. Das fleischige Rohr, aus dem der weiße Milchsaft tropft, verputze ich gleich vor Ort. Genauso wie die leicht bitteren Knospenfässchen und die gelben Blüten. Innerhalb von wenigen Minuten ist mein erster Beutel voll. Und mein Bauch auch.
>> Pass bei der Distelernte gut auf, dass du nicht aus Versehen nach einer Kratzdistel greifst! Ihre harten, spitzen Dornen würden einen bleibenden Eindruck auf deiner Haut hinterlassen!
Vom prächtigen, vollblühenden Ackersenf nehme ich nur die jüngsten Blätter. Und natürlich die Blütenknospen, die wie Brokkoliröschen aussehen. Ein bisschen Pilzaroma kann auch nicht schaden. Das liefert mir der Spitzwegerich. Die kleinen, noch geschlossenen Blütenstände, die ganz oben auf den langen, zähen Stängeln thronen, verschwinden auf dem gleich Weg wie die Gänsedistelstämme.
Am mehligen Belag auf den obersten Blättern kannst du den weißen Gänsefuß ganz einfach erkennen. Manche dieser zarten Pflanzen schmecken angenehm mild, andere wiederum sind sehr bitter. Am besten kostest du ein kleines Stück, bevor du sie zum Mitnehmen pflückst. Den Ampfer-Knöterich hätte ich fast übersehen! Doch als ich mich bücke, um ein paar Jungtriebe aus den Blattachseln zu zupfen, reckt er mir seine gefleckten Blätter direkt ins Gesicht. Nur ein paar davon als Würze. Lieber nicht zu viel! Denn er enthält doch ganz ordentlich Oxalsäure.
Grünzeug
Salat und Gemüse hab ich. Was kommt noch auf den Teller?
Lange, dünne Baldrianpflanzen nicken mir vom Wegrand aus zu. Ein paar der roten und weißen Köpfchen und der hübschen Fiederblätter steck ich gleich ein. Das indische Springkraut beeilt sich, die heimischen Pflanzen zu überholen. Appetitlich sieht es so jung noch aus. Doch essbar sind nur die Samen. Aber das dauert noch. Und in kleinen Mengen die Blüten, auch wenn ihr Duft nicht gerade betörend wirkt. Zumindest auf uns Menschen.
Pferdeäpfel
Der Boden wird immer matschiger, und die Haflinger, auf denen stolze Reiterinnen gelegentlich an mir vorbeitraben, haben ihre Äpfel hier verstreut. Ich weiche vom Hauptweg ab auf einen schmalen Pfad. Hüfthohe Brennnesseln empfangen mich freudig und begrüßen mich mit Juckreiz und Brennen. Mühelos dringen ihre nadelspitzen Haare durch meine dünne Hose. Männliche und weibliche Blütenstände direkt nebeneinander, mit grünen und weißlichen Blüten.
Winzige Ameisen klettern an meinem Unterschenkel empor. Noch bevor sie das Knie erreichen, schüttle ich sie ab und stecke die Hosenbeine in die Socken. Riesen-Goldruten reichen mir bis an die Schulter. Auch das Mädesüß ist schon über einen Meter hoch. Rosa und violette Beinwellblüten dazwischen. Nach Lebertran schmecken sie, finde ich.
Überall blühende Holunderbüsche, 3, 4, 5 Meter hoch. Der Duft vom Regen fortgewaschen. Hopfen rankt sich durch’s Gewirr der Zweige, auf der Suche nach einem Platz weit oben am Licht. Laut zwitschern die Amseln ihr fröhliches Lied.
Obdachlose
Da! Eine Abzweigung, die mich direkt in das Gewirr aus stehenden und liegenden, lebenden und toten Stämmen führt. Schon sehe ich die ersten Ohren, aufgequollen durch die tagelange Nässe. Perfektes Obdach für Kellerasseln, Tausendfüßler und winzige Schneckchen mit langem, spitzen Haus. Ungern raube ich ihr Regendach, doch meine Gier ist größer als mein Mitleid.
Schleimerei
Ganz offensichtlich lieben auch Nacktschnecken die Judasohren. Viel mehr von ihnen finde ich auf dem alten Holz als von dem, wonach ich suche. Der Wettlauf hat begonnen. In Massen arbeiten sich die schleimigen Tierchen an den Stämmen entlang nach oben, um sich an den weichen Baumpilzen den Bauch vollzuschlagen. Ob ich wohl schneller bin?
1:0 für mich
Und dann scheine doch ich zu gewinnen. Immer mehr Stämme, an denen die fetten, aufgedunsenen Ohren sitzen. Und immer weniger Schnecken, je tiefer ich ins Dunkel unter den geschlossenen Baumkronen vordringe. Bald bin ich nur noch von Klettenlabkraut, das an meinen Ärmeln hängen bleibt, und hüfthohen Brennnesseln umgeben. Ich verhake mich in Waldrebenranken und stolpere über stacheliges Brombeergestrüpp. Jetzt wird es Zeit, einen Weg aus dem Dickicht zu finden und den Heimweg anzutreten.
Süße Freude
Wieder im Hellen sehe ich, dass sich für heute die Sonne durchgesetzt hat. Ich entdecke das erste blühende Johanniskraut in diesem Jahr und freue mich über wunderschönen roten Mohn. Und ich koste die ersten wilden Kirschen. Fast ganz rot schon, weich und so süß!
Bevor ich in den Zug steige, mustere ich zufrieden meine Ernte. Wieder ist eine Einkaufstour vorüber, von der ich mit vollen Taschen heimkehre, ohne einen einzigen Cent ausgegeben zu haben.
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