Innenleben
🌦8.9.2024
Abgefressen
Der Almabtrieb ist vorbei. Das Vieh ist von der Hochweide verschwunden. Zurückgeblieben ist abgefressenes Gras. Dazwischen Kratzdistel und Wacholder, winziger Augentrost und Frauenmantel. Klein sind auch die Kranzenziane und anderen alpinen Blümchen, die sich zwischen Felsbrocken, Kuhfladen und gelbblühendem Hahnenfuß zeigen.
Ein scharfer Wind weht. Die kurz gestielten Rotkleepflanzen pressen ihre Köpfchen an den Boden. Unter den Zirben überall Futterstellen. Blaue Zapfen ohne Schuppen und Kerne. Brav ausgeknabbert von hungrigen Mäulern. Groß und fleischig sind die Stängel der Bachbunge, doch mitten auf der Viehweide für mich tabu. Das bittere Schaumkraut wächst im Matsch. Tief sind die Spuren vom Sommer auf der Weide. Von vielen Hufen zertrampelte Erde.
Warum?
Kennst du das, wenn du vorsichtig von Hügelchen zu Hügelchen steigst, um trockenen Fußes auf die andere Seite zu kommen, und dann plötzlich der Boden unter deinen Füßen nachgibt? Wieder einmal hab ich die Festigkeit des Untergrunds überschätzt und sinke bis zum Knöchel ein. Schlammig braunes Wasser rinnt in meinen Schuh. Warum bin ich nicht barfuß gegangen?
Innen und außen
Uralte Eierschwammerl unter der Fichte. Mit orangen, verschrumpelten Hüten. Vertrocknet, weil von niemandem geklaubt. Auch für die Flaschenstäublinge bin ich leider zu spät. Braun sind sie schon und werden bald aussporen. Bei den Täublingen hab ich mehr Glück. Jung und frisch kommen sie überall aus der Erde. Symbionten der Kiefern sind die Edelreizker. Von ihnen find ich weit mehr als nur einen. Denn Zirben, die zu den Kiefern gehören, gibt es hier wahrlich genug.
Nur der Fichtensteinpilz ist von Maden zerfressen. Auch hier gilt: Auf das Innere kommt es drauf an.
Gestörte Ruhe
Von der Silberdistel lösen sich vertrocknete Blütenblätter. Ein Falter ruht auf dem stacheligen Stern. Ich versuche, keinen Schatten zu werfen. Doch schon hat er mich bemerkt und fliegt davon.
Unter einem Stein eine rotbraune Kappe. Ja, diesmal ist er wirklich noch jung und fest. Mehr, als ich will, bleibt vom Steinpilz jedoch zurück, weil er sich kaum aus der Erde lösen lässt. Der nächste ist leider nicht mehr zu retten. Doch allein, dass er dasteht, gibt Hoffnung auf mehr. Und wirklich. Ein paar Meter weiter der nächste. So schön, dass er in meine Tasche wandern darf.
Frust
Überall find ich sie jetzt. Doch kaum einen Genießbaren. Der Zustand ist bisweilen richtig bizarr. Fotomotive sind es statt Speise. Statt des Messers halt ich die Kamera gezückt. Auf den Bildern sind mir Schnecken und Maden egal.
Sogar noch fest ist der Stamm dieses Riesen. Hast du die Löcher in seinem Hut gesehn? Ihn lass ich lieber zum Aussporen hier und halte mich an die Preiselbeeren. Denn wenigstens die sind von 1A Qualität.
Gefieder
Auf der Wiese geht’s weiter. Hoch steht das Gras hier. Und doch hab ich wieder etwas erspäht. Sieben junge Mädchen in gewagt kurzen Hosen gehen geradewegs darauf zu. Ich hoffe, sie haben es nicht gesehen. Und wie ich gewünscht hab, kein Blick zur Seite. Nur schnaufend nach oben. Hier wird’s immer steiler, und ihre Beine sind müd.
Schuppige Hüte. Wie Vogelgefieder. Habichtspilze, so heißen sie. Die Unterseite zeigt die Wahrheit. Madig und braun. Selbst der Kleinste hat schon lange Stacheln. Und so bitter, wie er riecht, lass ich ihn besser hier.
Schnell werd ich von anderen Pilzen getröstet. Und sie halten auch, was der schmierige Hut verspricht. Im Wurzelbereich der riesigen Lärchen Goldröhrlinge, zum Teil noch ganz jung. Die gelben Röhren vom Velum verdeckt.
Abkürzung
Über Zäune geklettert. Bergab durch das Dickicht. Himbeerstauden und Brennnesseln bis fast zur Brust. Der schnellste Weg, denn die Wolken werden dichter. Und bevor es regnet will ich an mein letztes Ziel.
Mit Rinde bedeckt haben mein Sohn und ich sie vor Tagen. Zum Ernten zu klein erschienen sie uns. Und sie sind gewachsen. Ein paar Zentimeter. Die perfekte Größe haben sie jetzt. Doch auch hier die Enttäuschung: Das Innere lebt. Gänge von Maden, die das köstliche Fleisch durchziehen. Die Lamellen gekräuselt und braun bis fast schwarz.
Zuerst viel Regen. Die letzten Tage zu trocken. Viel Altes zerfressen, viel Neues ohne Saft. Doch Mutter Natur hat mich noch nie im Stich gelassen. Und so beschert sie mir auch heute ein paar wunderbare Exemplare. Während die ersten Tropfen fallen, mach ich mich zufrieden auf den Weg nach Haus.
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