Winterzauber
🌞 26.12.2024
Hurra! Schnee!
Und dann sind es doch weiße Weihnachten geworden. Alles ist von einer dicken Schneedecke eingehüllt. Nur mehr gedämpft dringen die Geräusche der Stadt zu mir hoch. Minus 4 Grad zeigt das Thermometer noch zu Mittag.
Knirschend bricht das Eis unter meinen Füßen, als ich auf die schmale Wasserrinne trete, um ein paar Eiszapfen zu fotografieren. Kanadische Goldrute und Feinstrahl stehen am Wegrand Spalier. Himbeeren recken ihre dünnen Ruten gen Himmel. Mit zerfaserten Knospen sind sie besetzt.
Aus den einst knallrosa Pfaffenhütchen ist die Farbe verschwunden. Nur ihre Zweige sind immer noch grün. Markant stehen die Korkleisten von ihren Kanten ab. Auch die Hopfenzapfen sind verblasst. Ich kann sie nur mehr an ihrer Silhouette erkennen gegen den hellen Hintergrund.
Dornig
Jetzt kommt die Steigung. Auf einen Baumstumpf gestützt zieh ich die Steigeisen über die Schuhe. Tief bohren sich ihre Edelstahldorne ins Eis, während ich den Weg hochstapfe. Wie viel leichtfüßiger waren da die Rehe, die den Boden nur kurz berührt haben. Flüchtige Abdrücke im Vorübereilen.
Die Luft ist rein und klar. Zwei feine Dunstwolken steigen aus meinen Nasenlöchern auf. Ich öffne den Mund und hauch eine große Atemwolke aus. Beobachte, wie sie immer durchsichtiger wird und schließlich ganz verschwindet.
Immer wieder schütteln die Äste ihre schwere Last ab. Kleine Lawinen, die Löcher in die Schneedecke schlagen. Mich am Kopf treffen. In meinen Kragen rieseln.
Kennst du das Gefühl von eiskaltem Schnee, der dir den Rücken hinunterrutscht? Wie du versuchst, ihn mit der Hand zu greifen, aber kaum etwas erwischst? Nur spürst, wie er dein Hemd durchnässt bis hinunter zum Hosenbund?
Achtung!
Und schon kündigt sich die nächste Baumlawine mit feinen Schneegeriesel vor mir an. Schnell ein paar Schritte rückwärts, um ihr zu entgehen. Doch es war umsonst. Sie trifft mich mitten ins Gesicht, während ich nach oben schau. Bleibt am Nasensteg der Brille hängen und versperrt mir die Sicht. Treibt mir die Tränen in die Augen.
Fast blind fass ich mit den Handschuhen nach den Bügeln, wische das Gestell sauber und hauche die Gläser an, bis auch der letzte Rest geschmolzen ist. Jetzt sind sie beschlagen und ich sehe wieder nichts.
Winter und Brille, nicht die beste Kombination! Was sagst du dazu? Oder gehörst du zu den Glücklichen, die gar keine brauchen?
Fährtenleser
Steinhart sind die Maulwurfshügel gefroren. Winzige Pfotenabdrücke führen zum Fuß einer Fichte und wieder von ihr weg. Aufgewühlte Erde und ein paar Haselnussschalen. Hier hat wohl ein Eichhörnchen in einer seiner Vorratskammern gekramt.
Quer über die Lichtung Hasenspuren. Zwei kleine hintereinander, zwei große nebeneinander. Wie viele Tiere in unseren Wäldern hausen bemerkst du oft erst, wenn der Schnee ihre Fährten offenbart.
Schlangengleich kriechen Waldrebenlianen über den Boden. Der eingeschneite Farn ist grad noch an seiner Form erkennbar. Von der Nelkenwurz schaut nur ein Blatt heraus. Auch die Knoblauchsrauke liegt großteils verborgen. Vereinzelte Erdbeerblätter stehen rundherum.
Doch wie meist im heimischen Wald ist es das Brombeerlaub, das du jetzt am häufigsten siehst. Ein starker Kontrast in Grün oder Rot vor dem allgegenwärtigen Weiß und Braun.
Schatzkammer
Die wahren Schätze findest du jetzt nicht am Boden. Also heb deinen Blick! Sie wachsen neben und über dir.
An den Haselstauden baumeln die Kätzchen. Staubtrocken und geschmacklos sind sie zurzeit. Doch nur einen Monat noch, vielleicht ein bisschen mehr. Dann werden sie wieder die Luft mit ihrem gelben Pollen vernebeln, den du in Gläsern sammeln oder gleich von den Händen lecken kannst.
Essbare Knospen sitzen an den Haselzweigen und auch an denen manch anderer Bäume und Sträucher. Embryonales Pflanzengewebe, noch winzig klein, doch mit Nährstoffen vollgepackt.
Knospen
Ein graues Pelzchen schützt die Knospen der Eberesche. (Vogelbeere heißt sie auch, aber das weißt du eh.) Nach Bittermandel schmecken sie durch das Amygdalin. Erinnern an Marzipan, genauso wie die von Wildkirsche und Schlehe. Ein Hauch von Kokos in den Brombeerblattknospen, der sich mit zunehmender Tageslänge verstärkt.
Mild und süß die rötlichen Knospen der Linde, die in deinem Mund quellen, wenn du sie lang genug kaust. Das sind ihre Schleimstoffe (was ekelig klingt, aber gar nicht ist). Sie tun grad im Winter deinen ausgetrockneten Schleimhäuten gut.
Holzblumen
Hast du schon einmal Fichtentriebknospen näher betrachtet? So viele winzige Blättchen im Kranz. Wunderschön, wenn du sie vergrößert siehst. Doch unbeachtet mitten im Wald. Auch sie kannst du kosten. Ein wenig trocken, jedoch harzig-würzig im Geschmack. Und die von Kiefer und Tanne ebenso.
Nur die Lärche steht im Winter nackt und kahl da. Holzige Kügelchen an den dünnen Zweigen. Ihre Knospen kannst du erst im Frühjahr genießen, kurz bevor die jungen Nadeln sprießen.
Dick und schwarz auf grünlichem Holz. Du kennst sie schon – die Knospen der Esche, die für mich zu den schönsten zählen. Diesmal hab ich sogar ein Gesicht erwischt, was ich sonst nur bei der Walnuss seh.
Kaufreuden
Von verletzten Fichtenstämmen rinnt in langen Fäden das Harz. Waldkaugummi. Nimm dir etwas davon mit!
Er desinfiziert deine Mundhöhle und egal, wie lang du ihn kaust: seinen intensiven Geschmack verliert er nie. Aber vergiss nicht, seine Konsistenz zu prüfen, bevor du darauf beißt! Sonst steckt er für lange Zeit in deinen Zähnen fest.
Bei diesen Temperaturen ist das Pech hart und klebt fast nicht. Brich die glasklaren Stäbe einfach mit den Fingern ab! Zum Abkratzen hat sich ein alter Löffel bewährt. Am besten schabst du das Harz gleich in ein Kübelchen oder eine Dose. Aber denk daran, nur das Überschüssige zu nehmen. Verletz die verschlossenen Wunde nicht!
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