Wildpflanzenführung

25.5.2024 ⛅

Volkszählung

Letzte Woche wollte ich es wissen. Sind meine wichtigsten essbaren Wildpflanzen alle da? Und was sonst noch kann ich finden? Und zwar nur auf einem kurzen Spaziergang, nicht bei einer stundenlangen Wanderung. Denn schließlich schafft es nicht jeder, weit zu gehen.

Also hab ich eine „Volkszählung“ gemacht. Von der Bergstation der Hungerburgbahn bis zum Taubental-Spielplatz. Hab jede essbare Pflanze aufgeschrieben, die mir begegnet ist. Zumindest die, die ich kenne. Über 80 sind es schließlich geworden!

Das erste Mal

Nasser Asphalt. Der Himmel mit dicken, dunklen Wolken bedeckt. Doch schon haben sich erste blaue Flecken dazwischengedrängt und es scheint aufzuklaren. Ob das Wetter wohl hält? Heute ist meine erste Wildpflanzenführung. Ich möchte nicht, dass sie ins Wasser fällt.

Ja, natürlich hab ich schon Freunde mitgenommen. Auch gelegentlich unterwegs jemanden kennengelernt, der sich interessiert hat. Bin mit ihm oder ihr allein gegangen. Aber es ist das erste Mal, dass ich meine Führung öffentlich ausgeschrieben hab. Und das sehr kurzfristig. Erst vor zwei Tagen hab ich ein paar Einladungen in zwei Geschäften aufgelegt. Aber mich hatte einfach die Lust gepackt und ich wollte es sofort probieren.

Wer kommt?

Und da sind sie! Mein Schwager Joe, meine Nichte Rebecca mit Tochter Pippi, meine Freundin Claudia. Franz, der schon einmal allein mit mir unterwegs war. Getroffen beim Pflanzen-Fotografieren und sofort interessiert. Aber auch zwei völlig Unbekannte. Die trotz der Kurzfristigkeit mein Angebot gesehen und angenommen haben. Therese und Franziska mit ihren Töchtern Mathilde und Frieda. Über Kinder freu ich mich immer ganz besonders.

Und mein Sohn Hannes natürlich. Er wird für mich ein paar Fotos machen.

Einladung "Lust auf Wildes"
Da hinter'm Zaun wachsen Margeriten, Pippau und noch andere essbare Wildpflanzen
Da hinter'm Zaun ...
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... wachsen Margeriten, Pippau, Spitzwegerich und …
Wildpflanzenführung
Auch Mathilde und Frieda lauschen interessiert.

Achtung – Gefahr!

Eine kurze Einführung direkt am Treffpunkt. Ich erzähle von der Bedeutung der essbaren Wildpflanzen. Ihrem so viel höheren Gehalt an Nähr- und Vitalstoffen im Vergleich zu allem, was angebaut wird. Aber zugleich weise ich auch auf die Giftpflanzen hin, die zwischen ihnen zu finden sein können. Wie wichtig – vielleicht sogar lebensrettend – es deshalb ist, nur Pflanzen zu sammeln, die man zu 100% erkennt. Auch über den Fuchsbandwurm gibt es einiges zu sagen.

Um aufzuzeigen, dass man nach köstlichem Wildgemüse nicht erst lange suchen muss, präsentiere ich gleich die ersten Vertreter. Rund um uns herum wachsen Gänsedistel, Rotklee, Wilde Malve, Pippau, Schafgarbe und noch einiges mehr. Ich will eigentlich nur hingehen und sie zeigen. Hab nicht geplant, näher drauf einzugehen. Denn mit dieser Begeisterung hab ich nicht gerechnet. Schon zücken die ersten Teilnehmer Block und Stift. Es wird nachgefragt und notiert. “Woran erkenn ich sie?” “Was kann ich damit machen?” Also teile ich gleich das Skript aus, auf dem ich die 10 von der “Menütafel” zusammengefasst habe. Und natürlich Schreibzeug für die, die nicht daran gedacht haben. Damit später, in Ruhe, nachgelesen werden kann. Und so hoffentlich mehr hängenbleibt.

Langsam wandern wir weiter. Aus den geplanten 20 Minuten für den Weg wird ungefähr eine Stunde.

“Margeriten kann man auch essen?” “Kostet doch einmal das Innere! Ich finde, die gelben Röhrenblüten schmecken wie Fondant.” “Was sind denn das für hübsche Blüten?” “Ruprechtskraut. Auch Stinkender Storchenschnabel genannt”. “Warum stinkend? Ich mag den Geruch.” 

Wissensdurst

Ganz interessiert lauschen auch die kleinen Mädchen. Frieda will alles genau wissen, sagt ihre Mama. Keine Spur von Langeweile. Auch der einsetzende Regen stört niemanden wirklich. Ganz nebenbei werden Jacken angezogen und Schirme aufgespannt. Pippi ist auf Rebeccas Arm eingeschlafen.

“Echt? Auch die Blätter von Bäumen kann man essen?” “Ja. Die jungen Buchenblätter schmecken angenehm säuerlich und sind ganz zart. Aber nur für ungefähr 10 Tage nach dem Austrieb. Auch Lindenblätter könnt ihr sammeln. Und die vom Spitzahorn und vom Haselnussstrauch.”

“Ich dachte, die Vogelbeeren sind giftig! Die kann man nur zum Schnapsbrennen verwenden.” “Nein, du kannst sie sogar roh essen. Aber besser nicht zu viele. Denn sie reizen den Magen. Probier einfach aus, wie viele du verträgst!”

Gelandet

Schließlich kommen wir am Taubental-Spielplatz an. Auf einem trockenen Plätzchen unter einer riesigen Baumkrone breite ich meine Unterlage aus. Ich hab selbstgemachte Cracker mit. Rohköstlich vegan. Mit allerlei Wildpflanzen drin, teils auch Karotte, Zwiebel, Knoblauch und Ingwer. Bestreut mit hausgemachtem buntem Kräutersalz und Samen. Auch denen von Brennnessel und Indischem Springkraut. Eine kleine Pause zur Verkostung. Überbrückung, bis der Regen nachlässt.

“Wie macht man denn die? Was brauch ich dazu? Kannst du uns eine Anleitung geben?”

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Stinkt Ruprechtskraut?
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Buchenlaub kann man auch essen?
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Das ist der Nesselblatt Ehrenpreis
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Löwenzahn einmal ganz genau betrachtet
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Aus der Mitte der Blattrosette wachsen die Blütenstiele
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Der Stängel vom Giersch ist dreikantig
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Spitzwegerich hilft, wenn du dich an der Brennnessel gebrannt hast
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Bei älteren Brennnesseln nur die Triebspitze pflücken

Schau genau!

Erst jetzt gehen wir wirklich ins Detail. Sehen uns eine der „Menüpflanzen“ nach der andern an. Wurzel, Blätter, Stängel, Knospen, Blüten. Und das, was noch nicht – oder nicht mehr – zu sehen ist, beschreibe ich. Der Löwenzahn macht den Anfang. Allen gut bekannt, hat ihn doch noch niemand so wirklich genau betrachtet. Ich heb die Blattrosette an, drück den Wurzelstecher an der Pflanze entlang in den Boden und zieh den ganzen Löwenzahn heraus. “Wenn ihr die Wurzel mit einer groben Bürste säubert, dann geht auch der größte Teil der dunklen Haut ab. In Scheiben geschnitten könnt ihr sie roh im Salat essen. Oder mit anderem Gemüse dünsten. Getrocknet und geröstet ergibt sie einen Kaffeeersatz. So wie der Zichorienkaffee, der aus der Wurzel der Wegwarte gemacht wird.”

Mathilde und Frieda gehen schaukeln. Beschäftigen sich alleine und lassen die Mama zuhören.

Weiter zu Giersch, Breitwegerich und Goldnessel. “Die könnt ihr den ganzen Winter hindurch sammeln.” Ich reiche Jungtriebe der Gänsedistel herum, die ich aus den Blattachseln gezupft habe. “Kostet, wie mild die schmeckt!” “Kann man die Stacheln wirklich zerkauen?”

“Wie soll man denn die Brennnessel essen? Die brennt doch!” Ich hab ein Bambusbrettchen und eine kleine Flasche mitgebracht. “Da zieht der Saft nicht so ein wie bei einem Nudelwalker aus Holz.” Wer will, wälzt damit die Triebspitzen flach. “Dabei brechen die Brennhaare ab und werden harmlos. Schon kann man sie gefahrlos im Salat essen. Und beim Dünsten verlieren sie ohnehin die Brennfähigkeit. Und wenn ihr euch beim Brennnesselpflücken brennt, dann hilft Spitzwegerich.” Der wächst ohnehin meist gleich in der Nähe.

Tapferkeit

Und schon können wir das Gelernte anwenden. Die Mädchen haben sich wieder zu uns gesellt. Haben vor lauter Zuhören nicht aufgepasst. Die Kleinere steht da und hält ihr Ärmchen hoch. Am Handgelenk ein roter Fleck und mindestens 10 helle Blasen. So sieht es aus, wenn die Brennnessel zarte Kinderhaut reizt. Kein Jammern. Kein Weinen. Sondern geduldiges Warten darauf, dass Mama was unternimmt. Alle machen sich auf die Suche nach Spitzwegerich. Da war er doch grad noch! Die Mama kaut ein paar der Blätter zu Brei und drückt sie auf die schmerzenden Stellen. Ich leg ein besonders langes Blatt darum als Pflaster. Schnell noch den Stängel durchgesteckt und den Ärmel hochgezogen, damit es hält. Und weiter geht’s.

Was für ein tapferes Kind! Da merkt man, wie viel Liebe und Naturverbundenheit bei der Erziehung eingeflossen sind!

Was bleibt?

Nach knapp drei Stunden verabschieden wir uns voneinander. Ich geb’s zu: Ich bin schon ein bisschen stolz auf mich! Hätte nicht gedacht, dass es so gut läuft.

Danke an alle Teilnehmer! Ihr habt mir das möglich gemacht.

Die Begeisterung ist geweckt, aber der Kopf überfordert. Manches gerät noch durcheinander. Doch offensichtlich ist der Grundstein dafür gelegt, dass jeder der Teilnehmer die Natur jetzt mit anderen Augen betrachtet. Sie als das sieht, was sie wirklich ist: Die Basis unseres Lebens, die mit ihrer Fülle die Entwicklung der Menschheit erst möglich gemacht hat. Und die uns auch jetzt noch mit ihrem Reichtum beschenkt und immer unabhängiger macht, je mehr wir über sie wissen.

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