Nur Pilze
🌞 11.8.2024
Süchtig
Es ist nicht WIE eine Sucht. Es IST eine Sucht. Jeden Tag bin ich jetzt unterwegs um Pilze zu sammeln. Wollen mich Freunde treffen, müssen sie mit mir in den Wald.
Dieser Rausch, wenn ich mich nach den Schwammerln bücke. Im Augenwinkel längst die nächsten erspäht hab. Das Messer kaum zugeklappt schon ein weiterer Stiel darauf wartet, gesäubert zu werden. Wenn sich die Beutel füllen. Die Gedanken zu den Gerichten wandern, die ich daraus zaubern werd. Seh, wie sich in meinen Vorräten Glas an Glas reiht. Pilze eingelegt, gefroren, getrocknet, zu Pulver vermahlen.
Nebensache
Wildpflanzen sind momentan nur Beiwerk. Salat und Würze. Schnell gesammelt am Rückweg von meiner Tour. Wenn die Taschen schon schwer nach unten ziehen und ich auf dem Weg zur nächsten Bushaltestelle bin.
Zeitensprung
Nur eine Woche und schon hat sich die Pilzlandschaft völlig verändert. Wo vergangenen Sonntag nach Eierschwammerl aus dem Moos gelugt haben, begrüßen mich jetzt die ersten Brätlinge. Orange sind es diesmal, nicht Braune wie die letzten. Feste, gelbliche Stiele unter den runden Hüten mit der dunkleren Delle in der Mitte.
Noch während ich sie putze, fangen meine Finger an zu kleben. Heringsgeruch steigt mir in die Nase. Weißer Milchsaft tropft vom Messer. Färbt sich an der Luft gleich braun.
Irrtum
Ein paar Meter weiter ein Häufchen Pilze. Ausgerissen. Weggeworfen. Wohl für Eierschwammerl gehalten, was sie nicht sind. Semmelstoppelpilze. Zwar nur kleine, dafür das Fleisch schneeweiß. Die mit den lustigen Stacheln auf der Unterseite.
Zum Glück sind da noch mehr. Denn ich mag die festen Pilze sogar noch lieber als ihre allseits bekannten Verwandten. Natürlich nehm ich nur die, die noch im Boden sitzen. Ich hab ja keine Ahnung, wie lang die anderen schon vom Myzel getrennt sind. Ob sie noch frisch sind oder die Eiweißzersetzung schon angefangen hat.
Dann wird gefrühstückt. Preiselbeeren mit Fischgeschmack, obwohl ich mir die Hände so gründlich am Moos abgewischt hab. Ich fürchte, diesen Geruch werd ich erst wieder los, wenn ich die Hände mit Seife schrubbe. Er wird mich also den ganzen Tag begleiten.
Verlockungen
Köstlich schaut auch der Narzissengelbe Wulstling aus. Leider ist er hochgiftig. Kein Kandidat für meinen Sammelbeutel. Auch den Klebrigen Hörnling sehe ich mir von allen Seiten an. Faszinierend diese leuchtend orangen Korallenarme. Und doch zählt er nicht zu den Korallenpilzen. Er wäre sogar genießbar. Zwar kaum Geschmack, doch ein prächtiger Farbtupfer im Gericht. Trotzdem lass ich ihn hier.
Zwerge
Endlich auch Fliegenpilze. Zwei leuchtend rote mit weit ausgebreitetem Schirm. Sie sind mir seit meiner Kindheit die liebsten. Immer noch denk ich an Zwerglein, die darin wohnen, und sprechende Tiere. Grad so, wie ich sie von den Bildchen in der Volksschule kenn. Kannst du dich noch an die Fleißbildchen mit den zartgemalten Waldmotiven und den Sprüchen darunter erinnern?
Unzählige Fotos habe ich von ihnen gemacht. Nicht von den Zwergen, sondern den Fliegenpilzen . Von jungen. Von alten. Von zerbrochenen und völlig zersetzten. Faszinierend in jedem Stadium.
Fraßspuren
Eher braun als golden. Für diesen Goldröhrling ist es sicher schon zu spät. Der schmierige Hut über zehn Zentimeter breit. Der Stiel im Untergrund verborgen. Ich taste an ihm entlang. Schartig ist er. Nicht rund und glatt. Mindestens die Hälfte fehlt. Wohl von Schnecken abgefressen. Also bleibt er da stehen um auszusporen. Du lässt doch auch die Pilze im Wald, die zu alt für deinen Sammelkorb sind?
Heiß
Ein Pilz, vertrocknet und zur Blume zerrissen. Halbgedörrte Eierschwammerl mitten am sonnenverbrannten Steig. Baulärm vom Rodelweg gut zweihundert Meter unter mir. Auf Augenhöhe eine vertrocknete Bananenschale am dürren Zweig. Ich wisch mir den Schweiß von der Stirn. Das Schweißband hängt am anderen Rucksack. Mein Taschentuch ist schon ganz feucht.
Am Abhang entlang windet sich der Pfad nach oben. Mein Schatten rinnt an den bemoosten Felsen nach unten. In gut fünf Metern Entfernung winkt mein Arm mir zu. Immer wieder wachsen kleine Ameisenhaufen aus dem Boden, von fleißigen Arbeiterinnen beliefert. Sofort erklimmen sie meine Schuhe, wenn ich zu lange stehen bleib.
Im Hintergrund rauscht der Bach am Grund der Schlucht. Verborgen von Fichten und Lärchen. Weiße, bauschige Wolken schieben sich vor die Sonne. Ein kühlender Wind kommt auf.
Gold
Endlich bin ich am Ziel angelangt. Unter mir der goldgesprenkelte Hang. An ihm musste ich das letzte Mal wehmütig vorbeiziehen. Meine Taschen waren schon zu prall gefüllt.
Immer noch reiht sich ein Eierschwammerl ans andere. Natürlich gewachsen sind sie in sieben Tagen. Ich picke nur die schönsten heraus. Doch wer die Wahl hat, hat auch die Qual. Findest du dieses noch fest genug? Ist es zu groß? Würdest du es nehmen oder doch lieber nicht?
Handschlag
Ich klaube nur Kleine mit harten Stielen und trockenen Hüten. Das hab ich gerade mit mir selbst ausgemacht. Das heißt zwar, auf gut neunzig Prozent zu verzichten. Doch irgendwie muss ich meine Gier überlisten. Und es bleiben auch so noch genug.
Schon hab ich wieder eine ganze Gruppe entdeckt, die meinen Kriterien entspricht. Unter einer Gruppe junger Fichten steht sie. Kratzer für meine Arme und Beine, dafür Balsam für meine Seele. Egal, wohin ich schau: Überall stehen sie Massen. Und trotz meiner Beschränkung sind die Beutel bald voll. Schweren Herzens mach ich mich auf den Weg.
Betrug
Kein einziges nehm ich heute mehr mit. Das hab ich mir gerade versprochen. Und gleich betrüg ich mich wieder selbst. Bück mich nach diesem kleinen, gelben Fleck, der aus dem Erdreich leuchtet. Aber das war wirklich der letzte! Nur, wenn ich einen Steinpilz seh, darf der noch mit. Wie lang ich wohl diesmal durchhalten kann?
Fast hätt ich es geschafft. Da stehen plötzlich Semmelstoppelpilze vor mir. Wie könnt ich die im Wald zurücklassen? So schöne Exemplare hab ich heuer noch gar nie gesehn. Und direkt daneben der Semmelporling. Wie aufgequollener Teig mit kross-brauner Kruste. Die jungen Teile innen schneeweiß. Gebraten und eingelegt ein echter Genuss.
Augen zu
Am liebsten würd ich gar nicht mehr auf den Boden schauen. Bin völlig überfordert von der Fülle. Überall gelbe, weiße, orange und violette Flecken. Doch wie soll ich sonst nach unten kommen? Hast du einen Rat?
Eigentlich mag ich es gar nicht. Doch diesmal bin ich richtig froh, als plötzlich ein anderer Pilzsucher vor mir auftaucht, dem ich die letzten ergiebigen Plätze zeigen kann. Erfreut ruft er seine Tochter zu sich, damit sie beim Abernten hilft. Und dann steht sie da, die letzte Sehnsucht. Endlich ein Steinpilz. Doch die Freude währt nicht lang. Die Poren sind grün, der Hut zerfressen, der Stiel von Maden ausgehöhlt.
Nächstes Mal geh ich woanders hin.
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