Johanniskraut
🌞 2.7..2024
Ausgeschwemmt
Die dicken weißen Wolken haben sich verzogen. Nur an den Berggipfeln sind noch ein paar hängengeblieben. Doch über mir strahlendes Blau. Es ist die letzte Schulwoche. Die Verkehrsmittel quellen über von Schülern auf dem Weg zum Schulausflug. Lachen, Drängen und Zerren. Liegengebliebene Mützen und Rucksäcke, die noch schnell von den Lehrern geschnappt werden, bevor die Bustür schließt.
Ich werde mit den Kindern aus dem Fahrzeug geschwemmt. Eile die Straße nach oben, um der glühenden Hitze auf dem heißen Asphalt zu entkommen. Der Schweiß tritt mir auf die Stirn, noch bevor ich den halben Weg geschafft hab.
Selber schuld
Schwer zieht mein Rucksack nach unten. Hoffnungsvoll bepackt mit allerlei Beuteln, Kübeln und Taschen. Natürlich das Regengewand, für alle Fälle, angesichts des wolkigen Himmels beim Weggehen. Und Wasser, denn Durst hab ich immer. Bei diesem Wetter erst recht!
Endlich im Schatten! Weg vom Asphalt! Feinstrahl auf allen Seiten. In die Höhe geschossen reicht er mir teils bis über die Schulter. Und die Kanadische Goldrute fängt langsam an, ihr nickendes Köpfchen aufzurichten, an dem sich schon die ersten Blütenstände abzeichnen.
Abgeschnitten
Mein Schwammerlmesser hat heute die Aufgabe, Dost zu schneiden. Nur das obere Drittel ernte ich, mit den Blüten und den schönsten Blättern. Zäh sind die Stängel. Und wenn ich sie abreiße, geht oft die ganze Pflanze mit. Ist dir das auch schon passiert? Das ist kein achtsames Sammeln. Ich hab aus meinen Fehlern gelernt.
Gummibänder hab ich in einem kleinen Säckchen am Sammelbeutel immer dabei. Damit fasse ich die Triebenden büschelweise zusammen. Das schützt die Blüten beim Transport vor zu viel Reibung. Und außerdem kann ich sie zuhause gleich so aufhängen zum Trocknen. Doppelter Nutzen.
So dekorativ sieht der selbst gesammelte Oregano mit dem hohen Blütenanteil auf deinen Gerichten aus! Ob diese duftende Würze wohl für den ganzen Winter reicht?
Ungeheuer
Und dann die unheimliche Begegnung. Einer riesigen Schlange gleich windet sich Nessie im Schlamm des Staubeckens. Lautlos zwar, doch das Maul weit aufgerissen. Von weitem sichtbar.
Kennst du die Geschichte von Nessie, dem Seeungeheuer aus Schottland? Die seit Jahrhunderten immer wieder gesichtet und gelegentlich auch fotografiert wird. Deren Existenz aber bis heute selbst mit modernsten Methoden nie nachgewiesen werden konnte.
Ich hab sie hier von meinen Augen. Fast zum Angreifen nah. 😉
Urkarotte
Am nördlichen Ufer Wilde Möhre. Ein Blütenstand neben dem anderen. Ausgebreitet und weiß, mit der typischen Mohrenblüte in der Mitte. Gerade geöffnet und rosa angehaucht. Oder auch nestartig zusammengezogen. Aber alle mit den charakteristischen gegabelten Hüllblättern, die die Wilde Möhre zur Blütezeit unverkennbar machen. Die jungen Blütenstände liebe ich gedünstet in buntem Gemüse. Die feinen Fiederblättchen verstärken den Geschmack der Kulturkarotte noch.
Auch der Wasserdost blüht da. Nicht zu verwechseln mit dem Echten Dost, mit dem er nur den Namen gemein hat. Denn er gehört zu einer vollkommen anderen Pflanzenfamilie. Auf den Steinen zwischen Kratz- und Erdbeeren tummeln sich die Eidechsen. Verschwinden nur kurz, wenn ich sie störe, um dann gleich wieder an ihren Sonnenplatz zurückzukehren.
Schmutzig braun
Auch Johanniskraut wächst da. Vereinzelte Pflanzen. Zum Teil das Echte, das auch Tüpfel-Johanniskraut genannt wird. Doch noch mehr Berg-Johanniskraut. Seine Knospen färben zwar auch deine Finger rot. Der geringe Gehalt an Hypericin lässt einen Ölansatz aber höchstens schmutzigbraun werden. Mein erstes “Rotöl” hat mich sehr enttäuscht. Heute weiß ich, dass ich einfach nur von der falschen Art geerntet hab.
Am südlichen Ufer dann rentiert sich das Sammeln wirklich. Massen von gelben Blütensternen leuchten mir entgegen. Zur Sicherheit noch eine Knospe zwischen den Fingern zerrieben. Dann ein kurzer Griff an die Stängel. Zwei deutlich spürbare Leisten. Das ist das Echte. Es könnte ja auch das Gefleckte Johanniskraut sein, das ebenfalls zu wenig des blutroten Wirkstoffs enthält.
Hast du schon einmal ein Johanniskrautblatt gegen das Licht gehalten? Wenn es vom Echten ist, dann sieht es aus wie durchlöchert. Auch schwarze Punkte am Rand solltest du sehen. Das sind die Öldrüsen. Viele Drüsen bedeuten, viel Hypericin.
Meine Kübelchen füllen sich mit Knospen und Blüten. Auch ein paar der obersten Blätter dürfen mit. Verschlossen werden sie mit einem Tuch, damit die Pflanzenteile nicht zu schwitzen beginnen. Das ist für das Rotöl.
Für den Tee brech ich die obersten Drittel ab. Erst daheim werd ich dann Blätter, Knospen, Blüten und die ersten Fruchtansätze des Johanniskrauts herunterstreifen und zum Trocknen auslegen. Und wie immer nehme ich nur einen Teil der Pflanzen. Maximal ein Drittel. Damit genügend für die Tiere bleibt. Und für die Regeneration der Stauden selbst.
Natürlich wäre der 24. Juni der beste Zeitpunkt zum Ernten gewesen gewesen. Am Johannistag gesammelt soll die Heilkraft am größten sein. Doch das hab ich heuer – wieder – nicht geschafft. Ich vertraue darauf, dass Mutter Natur ihre volle Kraft, und die Sonne ihre ganze Energie auch in diese Blüten gesteckt hat.
Nächster Beitrag
Zirbentschurtschen
Vorheriger Beitrag
Orchideen und Knaben
Zurück zum Tagebuch
Wildes Tagebuch
Bleib in Verbindung
Anmeldung Newsletter
Ja, ich möchte regelmäßig den Newsletter erhalten. Ich kann mich jederzeit mit nur einem Klick wieder abmelden.