Wie kommt die Sonne ins Glas?

21. Juni 2023

Sonnenwende und Johannistag

21. Juni. Sommersonnenwende. Der längste Tag und die kürzeste Nacht. Auf den Bergen brennen die Sonnwendfeuer. Erleuchten kahle Felswände, Schneefelder und Almwiesen. Sie ehren die Sonne als Spenderin allen Lebens. Als Taktgeberin für die Natur. 24. Juni, Johannistag. Und wieder brennen die Feuer. Altes Brauchtum vermischt mit kirchlicher Tradition. Gedenken an den Heiligen. Lostag für die Bauern. „Wie das Wetter zu Johanni war, so bleibt es viele Tage gar.“ Das Heu wird eingebracht. Die Ernte beginnt.

Johanniskraut

Jetzt ist die Zeit, um Johanniskraut zu sammeln. Mit seinen strahlend gelben Blüten fängt es das Sonnenlicht ein. Konserviert es für die langen, finsteren Winternächte. Erhellt unser Gemüt. Wirkt Depressionen entgegen.

⇒ Hast du schon einmal ein Blatt des Echten Johanniskrautes gegen die Sonne gehalten? Die vielen Löcher gesehen?

Und das ist auch sein Name: Hypericum perforatum. „Hypericum“ nach dem Wirkstoff Hypericin. Dem Farbstoff, der die Haut rot färbt, wenn du eine der gelben Knospen zwischen den Fingern verreibst. Im Volksmund wird er auch Herrgottsblut genannt. Und „perforatum“ wegen der Öldrüsen, die das Blatt wie durchlöchert aussehen lassen. 

Bei uns wächst auch das Gefleckte Johanniskraut. Es sieht dem Echten Johanniskraut sehr ähnlich. Und auch seine Blüten und Knospen färben die Finger rot. Doch seine Heilkräfte sind nicht so stark. Also prüfst du am besten noch bevor du zu sammeln anfängst, um welche Art es sich handelt. Dazu fährst du einfach mit den Fingern spiralförmig am Stängel entlang. Wenn du zwei Leisten ertastest, dann kannst du mit der Blütenernte beginnen. Ist der Stängel aber vierkantig, handelt es sich um das Gefleckte Johanniskraut. Dann überlässt du die gelben Blütensterne lieber den Insekten.

Echtes Johanniskraut
Echtes Johanniskraut
Hypericin färbt die Finger
Hypericin färbt die Finger
Blüten des Johanniskrauts
Blüten des Johanniskrauts
Echter Dost - Wilder Oregano
Echter Dost - Wilder Oregano

Hitze und Schweiß

Ich habe mir einen glühend heißen Tag ausgesucht. Und ich bleibe auf dem breiten Weg. Denn hier kommt die Sonne gut zu und auf den Böschungen finde ich all die Blühpflanzen, die ich heute ernten will. Der Dost hat zu blühen begonnen. Ein wunderbarer Oreganoduft steigt mir in die Nase, als ich eines seiner Blätter zerreibe. Und dieser Geschmack! Auch wenn seine Würz- und Heilkraft nicht an die des mediterranen Oreganos herankommt: ich liebe dieses aromatische Grün und die zartlila Lippenblüten. Der Wasserdost dagegen ist als Speisepflanze nicht geeignet. Er ist mit dem Echten Dost auch gar nicht verwandt. Nur dem Namen nach. Du erkennst ihn an seinen hanfähnlichen, handförmigen Blättern. Er enthält leberschädigende Pyrrolizidinalkaloide. Aber wie auch beim Huflattich macht die Dosis das Gift. Deshalb trockne ich ihn für einen Immunsystem-stärkenden Tee, der traditionell bei Erkältungen und Grippe angewendet wird.

Ich zupfe hier ein paar gelbe Blüten, schneide dort ein paar dünne Oreganostängel ab, binde ein Büschel Wasserdost zusammen. Gummibänder am Handgelenk, meine Sammeltaschen links und rechts auf der Schulter, der Rucksack am Rücken. Und dazu die pralle Sonne. Mein Shirt ist klatschnass und juckt auf der Haut. Trotz Stirnband rinnen mir heiße Schweißtropfen in die Augen und brennen wie Säure. Doch da ist endlich die ersehnte Wegbiegung. Die kleine Brücke, die über den Wildbach führt. Ich lasse meine Last unter eine schattenspendende Hecke fallen und steige ins kühle Nass. Was für eine Wohltat! Und schon erblicke ich diese weiße Wolke. Ich kann es nicht lassen. Wenigstens ein paar der Mädesüßblüten möchte ich haben. Eh nur die, bei denen der obere Teil noch  nicht blüht. Und dann zurück ins Wasser. Abkühlen. Rasten. glücklich sein.

Blüte des Wilden Oreganos
Blüte des Wilden Oreganos
Wasserdostblüten
Wasserdostblüten
Wasserdost
Wasserdost
Endlich Abkühlung!
Endlich Abkühlung!

Riesendisteln

Die Taschen voll. Schon auf dem Rückweg. Nur noch schauen, wohin dieser schmale Pfad führt. Eine kleine Lichtung. Vollgewachsen mit Gestrüpp. Doch zwischen den hohen Stängeln leuchtet es mir goldgelb entgegen. Johanniskraut. Nicht mehr wenige, einzelne Pflanzen. In ganzen Gruppen steht es hier.  Umrahmt von Disteln und Dornenranken. Beide Arme schützend vorgereckt tauche ich in das Dickicht ein. Unter mir Brombeergestrüpp. Rings um mich herum Kratzdisteln. Überall hängt und kratzt und zwickt es. Diese Johanniskrauternte ist schmerzhaft, aber rentabel. Und auf der Suche nach dem richtigen Einstieg in das dichte Gebüsch finde ich auch noch junge, zarte Gänsedisteln. Direkt neben ausgeblühten Distelriesen. Mit meinen 1 Meter 82 bin ich nicht gerade klein. Aber diese Exemplare sind mehr als einen Kopf größer als ich.

Rotöl

Mit dem frischen Kraut setze ich Rotöl an. Streife die gelben Blüten und Knospen von den Stängeln und fülle sie ins Glas. Mach es mit den locker geschichteten Pflanzenteilen ganz voll. Dann gieße ich Öl dazu. Gutes Bio-Olivenöl erster Pressung bis hinauf zum Rand. Ich schraub den Deckel zu, stell das Glas in die Sonne, und beobachte – jedesmal wieder fasziniert – wie sich die grünliche Flüssigkeit im Laufe der Zeit blutig rot färbt. 6 Wochen lass ich das Öl ziehen. Jeden Tag schüttle ich es einmal, damit kein Pflanzenteil zu lange aus dem Öl herausragt und zu schimmeln beginnt. Und dann filtere ich es ab und fülle es in kleine Braunglasflaschen um.

Auch Johanniskrauttinktur steht auf meinem Plan. Und natürlich Tee. Dazu binde ich kleine Sträuße und hänge sie zum Trocknen auf. Sonne im Glas, in der Teekanne. Geschenkt von Mutter Natur. Für alles ist ein Kraut gewachsen. Wächst gar nicht weit entfernt. Du musst es nur wissen und erkennen. 

Mädesüß am Bachufer
Mädesüß am Bachufer
Johanniskraut im dichten Gestrüpp
Johanniskraut im dichten Gestrüpp
Junge Gänsedisteln gegen ausgeblühte Riesenpflanzen
Junge Gänsedisteln gegen ausgeblühte Riesenpflanzen
Johanniskrautblüten-Ernte
Johanniskrautblüten-Ernte

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