Schwammerlzeit
12. Juli 2023
Fette Motte
Es gießt in Strömen. Wie eine fette Motte bewege ich mich durch den Wald. Doch mein schwarzer Regenumhang hält nicht nur mich selbst, sondern auch noch Rucksack und Ernte trocken. Wasser rinnt mir das Handgelenk entlang in den Ärmel, während ich die triefendnassen Himbeeren klaube. Dick und vollgesogen sind sie. Und ihre Süße ziemlich verwässert. Doch für mich das ideale Frühstück.
Ich bin auf dem Weg zu einem meiner Schwammerlplätze. Nach und nach grase ich sie ab, denn jetzt ist Schwammerlzeit. Das nasse Wetter treibt die Fruchtkörper aus dem Boden, und in Sonnenstunden zwischen den Regengüssen trocknen sie auf. Genau richtig für eine reiche und schöne Ernte. Voraussagen kann ich nichts. An manchen Plätzen finde ich die schönsten Eierschwammerl (Pfifferlinge) in genau der richtigen Größe. An anderen schauen erst stecknadelgroße gelbe Köpfchen aus dem Moos. Oder es ist überhaupt nichts zu sehen. Aber Sommer und Herbst sind noch lang.
Verführung
Regenpause. Weg mit dem Umhang. Wenigstens für kurze Zeit. Rot leuchtet es von der Böschung. Walderdbeeren! Wie ich sie liebe! Winzig klein und doch so aromatisch. Und vollgepackt mit Erinnerungen. Mit welchem Eifer habe ich sie als Kind gesammelt und meinem Papa gefüttert. Der brauchte laut Mama viele Vitamine um uns alle versorgen zu können. Und er machte immer brav den Mund auf, wenn ich mit einer neuen Ladung ankam. Mama hat uns auch gezeigt, wie man die Beeren auf lange, dünne Grashalme fädelt und Armbänder und Ketten daraus macht. Wegzehrung für laaange Zeit! Mindestens 10 Minuten. 😉
Also ließ ich mich verführen und folgte den Beeren. In glücklichen Kindheitserinnerungen schwelgend kam ich vom Weg ab. Merkte es erst, als ich die Waldwiese erreichte, die genau in der entgegengesetzten Richtung liegt. Blühende Gräser, vom Regen schwer nach unten gedrückt. Inseln von Rotklee und Kleiner Braunelle. Dazwischen Echte Goldrute, noch knospig oder schon mit leuchtend gelben Blüten. Und Wald-Engelwurz. Bereits von weitem kann ich die bauchigen Blattscheiden erkennen, die die Knospen mit den zusammengefalteten Blüten verbergen. Ein ganz besonderer Leckerbissen. Die erste verspeise ich gleich vor Ort. Dazu den süßen, knackigen Blattstängel. Die anderen, die ich vorsichtig von den Pflanzen löse, wandern in meinen Sammelsack. Auch ein paar Wiesen-Bärenklau-Knospen finde ich noch. Der Umweg hat sich allemal gelohnt.
Eierschwammerl
Ich bin wieder auf Kurs. Schnurstracks den Hang nach oben. Und da sind sie auch schon! Halbverborgen unter Schwarzbeer- (Heidelbeer-) und Preiselbeersträuchern können sie sich vor mir doch nicht verstecken. Ich gehe in die Hocke und zücke mein Messer, das mich seit 44 Jahren in den Wald begleitet. Ein Schwammerl nach dem anderen ziehe ich aus dem Boden, putze es gleich und steck es in den Beutel.
Wieder fängt es zu regnen an. Wieder verkleide ich mich als Motte. Doch das hindert mich nicht daran weiter zu ernten. Noch kurz über den Bach auf die andere Seite. Meine Schuhe sind so durchtränkt, dass es jetzt auch schon egal ist. Ich gehe einfach hindurch, anstatt darüberzuspringen. Auf der anderen Seite geht die Ernte weiter.